Der Schatz im Kreuzberg III – Geheimnis an der Schönhauser, Zauber der Zitadelle

Unter grüner Kuppel. So beherbergt der jüdische Friedhof an der Schönhauser Allee seine Schätze. Foto: Mike Wolff.

Nur wenige Zeugnisse haben sich von dort erhalten. Knapp 30 dieser mittelalterlichen jüdischen Grabsteine sind heute im sogenannten „Archäologischen Fenster“ gleich hinter dem Eingang und beim Aussichtsturm der Zitadelle Spandau zu sehen. Inzwischen liegt Berlins ältester jüdischer Friedhof als große, gleichfalls wenig bekannte Sehenswürdigkeit am Beginn der Schönhauser Allee. Von 1827 an wurden dort über 20 000 Gräber angelegt; viele Steine stehen längst windschief oder sind gestürzt, es gibt die Ruinen einst prachtvoller Mausoleen, und Efeu und Büsche haben die Gräberfelder in eine sonderbar pittoreske Erinnerungslandschaft verwandelt: voller Symbole für Glanz und Elend, Aufstieg und Verfolgung, Kultur, Barbarei und Rückverwandlung in die Natur. Die Gräber etwa von Max Liebermann, vom Berliner Museumsförderer James Simon oder von Giacomo Meyerbeer, dem vom Konkurrenten Richard Wagner antisemitisch geschmähten Opernkomponisten, finden sich hier. Und dazu ein weiteres Berliner Lapidarium: eine schmucke moderne Ausstellungshalle zur Geschichte des Berliner Judentums und seiner Begräbniskultur, mit gut 60 Gedenksteinen aus verlorenen Gräbern.

Glanz und Verfall. Auch der Maler Max Liebermann liegt hier begraben. Foto: Mike Wolff.

Das neben dem Kreuzbergdepot bedeutendste Lapidarium ist seit einigen Jahren in der Zitadelle Spandau. Etwas entfernt vom Ort der jüdischen Grabsteine beherbergt ein langgestreckter Seitenbau, das frühere Proviantmagazin, in seinen jetzt geradezu weltstädtisch elegant gestalteten Raumfluchten die gerade eröffnete Schau „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“. Darüber war, mit dem Fokus auf spätere Nazi-Skulpturen, schon einiges auf den „Mehr Berlin“-Seiten der vergangenen Woche zu lesen. Tatsächlich aber kann man die Spandauer Präsentation auch in direkter Korrespondenz mit dem Kreuzberg sehen.

Die vier Gipskopien der Schlachtallegorien von Großgörschen, Leipzig, Paris und Belle-Alliance sind, so strahlend rausgeputzt und neu gestrichen, dem Kreuzberger Depot entliehen. Und Frank Körner hat entdeckt, dass die „schöne Luise“ von Paris in Spandau gleich einen hübschen Finger zurückerhalten hat – er war vor Jahren, vermutlich durch das übermütige Kind eines Besuchers, während Körners Führungen abhandengekommen. Auch die höfischen, militärischen oder etwa bei einer Humboldt-Büste mal bürgerlichen Helden des bildhauerisch opulenten 19. Jahrhunderts ergänzen nun in glänzendem Licht ihre Verwandten aus der Kreuzberger Schattenwelt.

Halle der steinernen Zeitzeugen. In der Zitadelle Spandau gibt es nun eine spektakuläre Sammlung. Foto: Mike Wolff.

Im dortigen Schatz- und Geisterhaus wohnt freilich noch ein ganz anderer Geist – der des Kreuzberger Weines. Ihn verwahrt Herr Körner mit seiner ihm meist assistierenden Gattin Marie in einem Metallschrank. Für zehn Euro, weniger als der Selbstkostenpreis des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, gibt er Besuchern schon mal eine Flasche ab vom weißen oder roten „Kreuz-Neroberger“. Als Kommissionsware, zugunsten des Bezirks. Weinbau? Den gab es am früheren Tempelhofer Berg bereits vom 15. bis 18. Jahrhundert. Dann wurden die Winter zu kalt. Klimawandel.

Einen winzigen, am Südhang des Kreuzbergs frisch angelegten Weinhügel erblickt man jetzt von der Terrasse des Denkmals auf dem rückwärtig angrenzenden Areal der ehemaligen Schultheiß-Brauerei, heute einem Quartier mit Eigentumswohnungen und Lofts. Doch der seit 1968 wieder angebaute und jährlich in 700 bis 900 Flaschen abgefüllte wahre Kreuzbergwein wächst am östlichen Rand, an der noch kleinen Methfesselstraße. Dort liegt innerhalb einer Bio-Gärtnerei das bezirkliche Weinfeld, in idealer Südwestlage und nach Norden durch die Brandmauern älterer Häuser geschützt. Es ist übrigens das Grundstück, auf dem eine der beiden sich gegenüberliegenden, im Krieg zerstörten Villen der Familie Zuse standen, in denen der geniale Tüftler Konrad Zuse ab 1936 an seinen ersten Computern baute und vor just 75 Jahren seinen Prototypen „Z3“ entwickelt hatte. Jetzt also wächst Wein über der Frühgeschichte des digitalen Zeitalters.

Alte Bekannte. Die Originale der vier Genien links finden sich auf dem Kreuzberg. Foto: Mike Wolff.

Gekeltert und ausgebaut werden die Kreuzberger Roten (vor allem der Spätburgunder) freilich im rheinhessischen Ingelheim, der Partnerstadt von Kreuzberg, aus der auch die Rebstöcke stammen. Die Weißen, Riesling und Kerner, erfahren ihre Weinwerdung nebenan in Wiesbaden – dann geht alles zurück nach Kreuzberg. Mal herber, mal vollmundiger, der Jahrgang 2012 soll besonders rund gewesen sein. Klimawandel. Oft aber bleibt’s beim Geist, der Körper ruht in den als Andenken ungeöffnet bewahrten Pullen. Das Geheimnis liegt also einmal mehr ganz drinnen. Verborgen.

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(Fonte: Der Tagesspiegel)